Burlesque, Animiertanz der nur Frauen Eintritt gewährt?
An einem Pariser Spätsommerabend besuchte ich eine hiesig bekannte Burlesque Revue, um mich dort dem einst frivolen Animiertanz der temps jadis hinzugeben. Mit Spannung verfolgte ich diese grazil anmutende Chose, als ich plötzlich aus dem Publikum auf die Bühne geholt wurde, um dort an einer spontanen Tanzeinlage mitzuwirken. In einem Moment noch entspannt im Publikum sitzend, befand ich mich im Anderen, mit Pasties auf meinen Brustwarzen beklebt, nur in der Unterhose Dastehend auf der Bühne. Mit französischem Nationalcharme schwingte ich meine Hüften und mehr oder eher weniger meine aufgeklebten Pasties. Die Menge tobte, war außer sich, was nicht nur mich sondern auch die eigentlichen Acteurs sur scène verblüffte. Es war in diesem Moment, als ich mir die Frage stellte: Ist Burlesque ein Animiertanz, der nur Frauen Eintritt gewährt, oder kann sich an diesem auch das männliche Geschlecht versuchen, ohne dass man eine Chippendales Karriere hinlegen muss?
Ich bin der Meinung- ja, Mann darf und kann! Denn Striptease ist nicht gleich Burlesque, bei dem es sich zunächst um eine humorvolle theatralische Darstellung mit parodierenden Elementen handelte und sich im Laufe der Zeit zu einem erotisch hypnotisierenden Animiertanz entwickelte. Denn im Unterschied zum Striptease entledigen sich Burlesque - Künstlerinnen nur gewisser Kleidungsstücke. Wo findet aber nun Mann Eintritt in diese Welt des Burlesque, bei dem er selbst zum Objekt der Begierde werden kann? Ganz einfach: beim BOYlesque, dem männlichen Pendant zum Burlesque.
Mein Ziel ist es mit dieser Kunstform, die Menschen zu Unterhalten, sie teilweise auch zum Nachdenken anzuregen und Ihnen mit einem Augenzwinkern kurze Geschichten zu erzählen. Diese Devise steht auch für meine monatlich erscheinende Kolumne, in der ich über mein Leben auf der Bühne, Veranstaltungen, meine Tourerlebnisse und Alltagsthemen berichten werde. Insbesondere alles rund um den dazugehörigen Lebensstil: Mode, Styling, Flohmärkte, Einkaufstipps, des choses de bric à brac.
bisou
Jacques Patriaque
©Jacques Patriaque
À la recherche du mot perdu- Eine burleske Wortfindungsreise.01
Die Zeiten als burla, auch Burlesque genannt, vielerorts mit einer erlesenen italienischen Haubenkreation verwechselt worden ist, scheinen zum Glück passé, wo jedoch fand dieser kunstvolle Tanz seinen Ursprung? Diese Frage scheint trotz stetig werdender Bekanntheit dieser Kunstform immer noch omnipräsent zu sein, daher möchte ich mich nachfolgend mit der Herkunft des Wortes Burlesque und der damit verbundenen Bedeutung beschäftigen. Es wird also an der Zeit ein bisschen fachzusimpeln.
Das Wort Burlesque, zu Deutsch Burleske, leitet sich eigentlich von dem italienischen burla „Schabernack“ ab, das wiederum vom lateinischen burra „Lappalie“ abstammt. Burleske, das manch einem vielleicht aus dem Theaterbereich bekannt ist, soll uns hier zu den Ursprüngen bis in das antike Griechenland führen. Denn Aristophanes, so hieß der Mann der Stunde, bediente sich damals schon dem burlesken Grundgedanken und parodierte, ganz getreu dem Schabernack, in seinen Werken die Größen seiner Zeit – selbst vor den Göttern wurde keinen Halt gemacht.
bisou
Jacques Patriaque
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BOYlesque vs. Burlesque: Siamesische Zwillinge oder doch nur Halbgeschwister?
Aus Liebeswegen in der imperialistischen Stadt Wien gelandet, ließ mich der Gedanke an einer männlichen Burlesque Variante nicht mehr los - nachdem ich, wie in meinem ersten Artikel schon berichtet, in Paris das erste Mal den mich völlig einnehmenden Odeur der burlesken Welt geschnuppert hatte.
Nach einigen Recherchen in den Weiten des Internets stellte ich schnell fest, dass diese männliche Variante des Burlesque existiert, sie nennt sich BOYlesque. Voller Ektase in die Welt dieses illustren Animiertanzes eingetaucht, musste ich schnell feststellen, dass diese Kunstform in hiesigen Breitengraden allerdings immer noch einen Exoten darstellt. Nicht nur stellt man mir als BOYlesque - Künstler oftmals die Frage: Was denn BOYlesque überhaupt sei? Sondern auch, worin denn nun der Unterschied zwischen BOY’ – und Burlesque liegt?
Daher stellte ich mir selbst die Frage: Sind BOY’- und Burlesque siamesische Zwillinge oder doch nur Halbgeschwister?
Eine Frage, die sich meiner Meinung nach nicht eindeutig mit ‘Ja‘ oder ‘Nein‘ beantworten lässt, denn BOY’- unterscheidet sich von Burlesque nicht etwa durch die zunächst banale Differenzierung des Geschlechts, sondern liegt vielmehr in der Bewegung, dem Kleidungsstil, dem Styling und der jeweiligen Umsetzung. Die Tatsache des männlichen Geschlechts ist nun wirklich nicht suffisant genug, um applaudierend aus einem Bur’- ein BOYlesque zu machen. Soll doch bei letzterem das Spiel von, mit und über stereotypisierten Geschlechterrollen im Vordergrund stehen und auf die Schippe genommen werden.
Einen Verwandtschaftsgrad très proche stellen BOY’- und Burlesque meiner Meinung nach hinsichtlich der tänzerischen Bewegungen und Schritte auf der Bühne dar, wie etwa das grazile Ausziehen der Handschuhe, das Einbauen eines verführerischen Shimmys, das kesse Wackeln mit den belles fesses oder eben den ultimativen klassischen Hüftschwung.
BOY’- und Burlesque sind also in gewisser Weise nun doch ein unzertrennliches Geschwisterpärchen, bieten beide dem Zuseher technisch gesehen die gleichen Bewegungen und passen beide den Stil an ihre jeweilige Persona an. Ergo, lässt sich daraus schließen, dass das Signifikante an beiden Kunstformen nicht das Geschlecht ist, sondern ob ein Künstler im Stande ist eine unterhaltsame Parodie um etwas zu schaffen - das ist nach meiner Ansicht nach die ultimative Kunst der Stunde!
bisou
Jacques Patriaque
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Le moustache – das neue kleine Schwarze des Mannes?
Anlässlich des wohl männlichsten MOnats des Jahres schien es mir sinnvoll einen MOment inne zu halten und den Bartwuchs des Mannes ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen, die Rede ist vom MOvember. Letzterer setzt sich aus dem Monat November und dem französischen Wort für Schnurrbart, moustache zusammen. Der jährlich stattfindende MOvember soll Männer dans le monde entier inspirieren sich für einen guten Zweck einen Schnurrbart heranzuzüchten und sich so zum MOBro zu qualifizieren. So spaßig das ganze nun auch klingt, steckt ein eher ernsterer Grund dahinter: Es soll so das Bewusstsein für Prostata- und Hodenkrebs sowie das daraus resultierende Depressionsverhalten der erkrankten Männer deutlich gemacht werden. 2003 als keine Organisation begonnen, hat sich der MOvember inzwischen zu einer globalen Bewegung mit mehr als 1.9 Millionen teilnehmenden MOBros und mittlerweile auch MOSistas entwickelt.
Ist der Moustache ein Phänomen das lediglich aus einer Spendenaktion hervorgeht oder ist er das neue kleine schwarze des Mannes?
Um dieser Frage nun im Detail nachzugehen, blicken wir ein wenig auf die Geschichte des Bartes und seine gesellschaftliche Bedeutung zurück, denn im Laufe der Zeit spielten Barttrachten als Attribut der männlichen Eitelkeit eine wechselhafte Rolle. In manchen Völkern steht der Bart für Kraft, Weisheit und ist mancherorts sogar heilig gesprochen worden. In anderen wiederum galt es als respektlos den Bart gar zu berühren geschweige denn ihn zu Entfernen, denn dies wurde als Strafe, als Verlust der Ehre gesehen. Interessant ist es auch, dass das Wort „bärtig“ immer positiv konnotiert ist. Es klingt zwar rau, wirkt aber gutmütig. Hingegen das Wort „bartlos“ sich eher nach einem Mangel anhört. Ob nun bärtig oder bartlos, man vertrat eine gewisse Mode. Diese Modeausprägung wurde nicht selten gar zum sozialen Ausschlusskriterium: Im Frankreich des 16. Jahrhunderts bleibt bärtigen Männern der Zutritt zu Gerichtssälen verwehrt und in Russland unter Peter dem Großen wird gar eine Bartsteuer erhoben. Somit wurde das Tragen von Bart nur den oberen Ständen zugänglich und zum gesellschaftlichen Statussymbol.
Die Geschichte des Bartes stieg und fiel ungefähr genauso schnell wie der heutige Währungskurs. Mal wurde er heilig gepriesen, mal wurde er verboten. Eines blieb jedoch gleich: Männer ließen sich ihren Bart wachsen, entweder um sich vor Blicken zu schützen oder jene bewusst auf sich zu ziehen. Der Moustache stellt also weder ein Relikt des Hominidae -des Menschenaffen- dar, noch ist er ein Zögling einer Spendenaktion. Der Bart war und ist ein Ausdrucksmittel für Männlichkeit und wird immer wieder zu Recht als Modeattribut eingesetzt.
bisou
Jacques Patriaque
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Pasties: Skandal und Revolution einer kreisrunden Scheibe Teil I
Kreisrunde mit Stoff oder Pailletten beklebte Scheiben lassen in der burlesken Welt sämtliche Herzen höher schlagen, die Rede ist von sogenannten Pasties. Letztere leiten sich vom Englischen „to paste“ ab, dessen Eigenschaft auf der Haut zu kleben ihnen ihren Namen gab. Wer nun denkt, dass Pasties sich superheldenhaft der allgegenwärtigen Macht der Schwerkraft widersetzten können und von selbst auf der Haut kleben, den muss ich von dieser Illusionen losreißen und auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Denn Pasties würden ohne die tatkräftige Unterstützung der Pistacia lentiscus (genannt: Mastixstrauch) keiner Brust die zuvorkommende Ehre des Verdreckens tun.
Pasties dienen also der Bedeckung der Brustwarzen, der Akzentuierung des Busens oder schlichtweg um das Thema des Kostüms in farbenfroher Pracht fortzusetzen. Was aber war nun der ausschlaggebende Grund für das Tragen von Pasties? Historisch gesehen, spalten sich diesbezüglich die Geister und es existieren die abstrusesten Geschichten dazu. Mythen besagen, dass in den 1920er Jahren Tänzerinnen in Varietétheatern verhaftet wurden, wenn sie barbusig auf der Bühne erschienen. Ergo, mussten sie mit einer Idee aufkommen, um ihre Brüste irgendwie zu bedecken, ohne dass sie die komplette Brust vor der wollüstigen männlichen Klientel verbargen. Zunächst versuchte man die strikte Gesetzesvorlage zu umgehen in dem man einfach Abdeckungen in Form von Brustwarzen über seine eigenen Brustwarzen klebte. Da diese Variante den Behörden immer noch erheblich sauer aufstieß, entwickelten die Tänzerinnen eine Brustbedeckung die den Anforderungen entsprach, das notwendigste verbarg und dennoch das gewisse je ne sais quoi des erotischen Animiertanzes wiedergab.
Die einst aus einer Notdurft entstandenen Pasties wurden im Laufe der Zeit immer luxuriöser verarbeitet und verziert. Die Tänzerinnen begannen ihre Pasties mit Perlen und Strasssteinen derart aufwendig zu veredeln, sodass diese als wahre Schmuckstücke hervorgingen und ihre Nacktheit mit Stolz zelebrierten. In den 1950er Jahren trugen die Tänzerinnen überwiegend rosa- oder hautfarbene Pasties, um den Anschein völliger Nacktheit zu unterstreichen, dass zwar das nötige „Wa-wa-wa-woom“, aber auch ein neues Edikt mit sich brachte. Fortan mussten Pasties sogar von der letzten Reihe eines Varietétheaters aus als solche erkenntlich sein. Maligne comme un signe, brachten die Tänzerinnen sogenannte Tassels an, um die Präsenz der kreisrunden Sensation zu intensivieren und bemerkten dabei, dass diese auch im kreise geschwungen werden konnten. Dieses Drehen der Tassels sollte, wie sich später herausstellte, zu einem der klassischsten Bewegungen des Bump’n Grinds werden.
Fortsetzung folgt ...
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Jacques Patriaque